Samstag, 19. Mai 2012

Umprogrammierung des Denkens: Pentagon erforscht »Narrative Networks«

Schon seit Jahrtausenden suchen Regierungen und andere Organisationen herauszufinden, wie sie Menschen gehirnwaschen können, bislang ohne großen Erfolg. Wenn eine staatliche Behörde tatsächlich wissenschaftlich entschlüsseln könnte, welche Umstände welche Verhaltensweisen verursachen, was würde sie wohl mit diesem Wissen anfangen? Es ist eine legitime Frage, denn das Pentagon betreibt derzeit entsprechende Untersuchungen. Unerwünschte Veränderungen im Gehirn sollen künftig überschrieben werden können.


Laut einem kürzlich gesendeten BBC-Bericht forscht das US-Verteidigungsministerium offenkundig nach einer Methode, das Denken zu kapern, so dass falsche, aber glaubwürdige Storys eingepflanzt werden können – eine Art »Hab-mich-gern«-Waffen, wenn man so will.

Die Pentagon-Behörde Defense Advanced Research Projects Agency, oder kurz DARPA – die
Abteilung, die für die gesamte modernste technologische Entwicklung zuständig ist – arbeitet dem Vernehmen nach an einem neuen Forschungsprojekt, das sich auf neurobiologische Vorgänge konzentriert, die bei der Entstehung von politisch motivierter Gewalt eine Rolle spielen. Insbesondere gehe man der Frage nach, ob sich solche Gewalt bereits im Vorfeld entschärfen lässt.



Nach Aussage von DARPA-Vertretern richtet sich die Forschung darauf, ob sich Ereignisse auf eine Weise narrativ darstellen (schildern) lassen, die die Menschen überzeugen würde, gegnerische Kräfte nicht zu unterstützen. Das Konzept trägt den Namen »Narrative Networks«. Bei einer offiziellen Ausschreibung erklärt die Behörde, man erwarte von jedem eingereichten Vorschlag für dieses Projekt, dass dadurch das Studium des Narrativen  und dessen Einfluss revolutioniert sowie narrative Analyse und Neurowissenschaften gefördert würden. Man wolle ein neues Sensorium dafür schaffen, wie sich bestimmte Formen von Schilderungen auswirken, um besser vorhersehen zu können, wie sie sich auswirken.


Keine Science-Fiction – nur einfach Science


Laut DARPA-Direktor William Casebeer sei es das Ziel des Konzepts, zu verstehen, wie Schilderungen menschliches Denken und Verhalten beeinflussen. »Die Ergebnisse sollen dann auf einen Sicherheitsbereich angewendet werden, nicht nur, um Bedrohungen der Sicherheit wie beispielsweise Radikalisierung, gewalttätiger gesellschaftlicher Mobilisierung, Aufstand und Terrorismus Herr zu werden, sondern auch zu Konfliktprävention und ‑Lösung beizutragen.«

In der Wissenschaft ist schon seit geraumer Zeit bekannt, dass Erzählungen – die Darstellung über den Ablauf von Ereignissen, in der Regel in chronologischer Ordnung – das menschliche Denken beherrschen und das Verständnis von Gruppen und Identitäten formen und sie möglicherweise zu Gewalttaten motivieren.

Man erwarte sich vom dem Projekt, so die Wissenschaftler, eine bio-neurologische Methode, um Schilderungen als Mittel zu verwenden, die Menschen dazu zu bewegen, die Gewalt einzustellen – man wolle sie nicht kontrollieren.

»Es geht uns nicht darum, die Gedanken der Menschen zu lesen oder ihnen Gedanken einzupflanzen. Wenn wir die biologischen Ursachen verstehen, warum Menschen Kriege führen, dann können wir vielleicht auch ein Verständnis dafür entwickeln, wie wir mäßigend eingreifen können«, erklärte Greg Berns, Professor an der Emory University, in der BBC.

Ein Ziel der Forschung besteht darin, Wege zu finden, wie mithilfe von Schilderungen dadurch die nationale Sicherheit gestärkt werden kann, dass der Terrorismus eingedämmt oder ganz aus der Welt geschaffen wird. Aber das mag ein hochgestecktes Ziel sein, selbst wenn die Forschung begründet ist.

»Natürlich müssen wir diese Dinge verstehen, kein Zweifel, aber was die Friedensförderung angeht, so habe ich meine Zweifel, ob uns das Wissen darüber, an welcher Stelle im Gehirn die Wut entsteht, die zur Gewalt führt, dabei helfen wird, Kriege zu verhüten«, sagt Tom Pyszczynski, Sozialpsychologe an der University of Colorado. Er untersucht den Terrorismus und hat über die Auswirkung des so genannten »Arabischen Frühlings« und die Haltung der Bewegung dem Westen gegenüber geforscht.

»Wir können nicht einfach hingehen und den Mandelkern [im Gehirn] der Leute anpeilen oder sie narkotisieren oder so etwas«, betont er in der BBC. »Wir werden die Art und Weise verändern müssen, wie sie die Ereignisse interpretieren, und wir müssen ein Verhalten ablegen, das andere als beleidigend oder als Angriff auf ihre Lebensweise interpretieren.«


Uns gehirnwaschen? Viel Erfolg…


Kritiker des Forschungsprojekts behaupten, in Wirklichkeit versuche das Pentagon, Gehirnwäsche in den Stand einer Wissenschaft zu erheben. Andere meinen, das Ziel sei wohl eher, die Kunst der Propaganda zu meistern.

»Zunächst müsste erforscht werden, was geschieht, wenn die Menschen eine Botschaft hören oder sehen. Man nimmt an, dass bestimmte Botschaften oder Bilder im Gehirn tatsächlich zu einer Veränderung führen, um diese neuen Ideen einzuordnen«, heißt es in einer Analyse der Webseite Phys.org über das DARPA-Projekt.

»Zum Zweiten müsste ein Mittel entwickelt werden, sich das zunutze zu machen, was im ersten Teil gelernt wurde. In anderen Worten: eine Methode zu finden, mit der man herausfinden könnte, wer für bestimmte Botschaften empfänglich ist, und ihn dann mit einer Botschaft zu bombardieren. Alle unerwünschten Veränderungen im Gehirn, die infolge der ›schlechten‹ Botschaften entstanden sind, müssten überschrieben werden, so dass sich der Betreffende benimmt«, fährt die Analyse fort. Es wird betont, dass dem Projekt wohl kein Erfolg beschieden sein werde, weil »Regierungen (und andere Instanzen) schon seit Jahrtausenden herauszufinden versuchen, wie sie Menschen gehirnwaschen können, ohne großen Erfolg.«

Die DARPA-Forscher weisen weit von sich, sie suchten nach einer Möglichkeit, die Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen.

»Nichts von dem, was wir oder jemand anderer, den ich in der Narrative-Network-Gruppe kenne, tun oder tut, hat damit zu tun, dass Soldaten besser Menschen töten können oder dass Menschen gehirngewaschen werden«, versichert Paul Zak, Professor an der Claremont Graduate University in Claremont, Kalifornien, ein Experte im Bereich Neuroökonomie, dessen Arbeit vom DARPA-Programm gefördert wird, gegenüber der BBC.

Er stellt die rhetorische Frage: »Ist es möglich, Veranstaltungen abzuhalten, für Dinge wie Gesundheitspflege, öffentliches Gesundheitswesen [oder] Zähneputzen für Kinder zu werben, und eine halbe Million Zahnbürsten zu verschenken? Es könnte Dinge geben, die Ländern zu verstehen helfen, dass wir fast immer gute Beziehungen zu anderen wünschen.«

»Warum packen uns bestimmte Geschichten und andere nicht? Das ist doch wohl eine gute Frage, die man sich stellen sollte«, betont er.


Quellen für diesen Beitrag waren unter anderem:
www.kopp-verlag.de

Keine Kommentare: